Stellungnahme zum Ergebnis der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe

Außer Spesen nichts gewesen

Über zwei Jahre hat die Atommüllkommission mit hohem personellem und zeitlichem Aufwand an der Erstellung ihres Berichtes gearbeitet. Am Ende ist sie über die Ergebnisse des AKEnd aus dem Jahr 2002 kaum hinaus gekommen. Politik und Kommission haben sich den Forderungen aus der Anti-AKW-Bewegung nach

  • Beendigung des Projektes Gorleben,
  • Einbeziehung aller Arten radioaktiver Abfälle,
  • offene und gründliche Untersuchung alternativer Lagermethoden,
  • Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit und
  • echte Öffentlichkeitsbeteiligung die über den puren Gestus hinausgeht

verweigert. Damit wurde einerseits die Chance nach einer neuen gesellschaftlichen Vertrauensbasis in die künftige Atommüllpolitik fahrlässig vergeben. Andererseits erwies sich die Weigerung auch gegenüber den realen Entwicklungen als politischer Fehler. Das eine konkrete Ergebnis, die Forderung nach einem Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle, wird von der Bundesregierung ignoriert.

1. Keine Beendigung des Projektes Gorleben

Spätestens bei der Formulierung der Kriterien für den Suchprozess wurde deutlich, welch weitreichender Fehler es war, den Standort Gorleben nicht aufzugeben. Bei der Erstellung der angeblich wissenschaftlich-objektiven Kriterien wurde die Hürde aufgestellt, dass keines dieser Kriterien zu einem automatischen Ausschluss des Salzstockes Gorleben führen dürfe. Damit wird jedoch die Monstranz der Ergebnisoffenheit, die die Kommission vor sich herträgt, genau in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn kein Kriterium Gorleben ausschließen darf, so begünstigen die Kriterien eine letztendliche Standortentscheidung für Gorleben. Die unterlassene Aufarbeitung der Fehler und Einflussnahmen auf dem Irrweg Gorleben macht eine unvoreingenommene ausschließlich sicherheitsgerichtete Bewertung auch anderer möglicher Standorte unmöglich und schlägt sich in der kritiklosen Übernahme der vorläufigen Sicherheitsanalyse nieder. Auf den Erkundungsvorsprung am Salzstock Gorleben bleibt die Kommission eine Antwort schuldig und nennt noch nicht einmal eine Mindestanzahl untertägig zu untersuchender und zu vergleichender Standorte pro Wirtsgestein. Eine seriöse Abwägungsentscheidung auf der Grundlage eines validen wissenschaftlichen Auswahlprozesses kann auf diese Weise nicht getroffen werden.

2. Keine Einbeziehung aller Arten radioaktiver Abfälle

Mit dem Hinweis auf das planfestgestellte Atommülllager Schacht KONRAD entzogen sich Politik und Kommission der Forderung nach einem echten Neuanfang in der Atommülldebatte, der alle Arten radioaktiver Abfälle umfassen muss. Bundesregierung und Kommission wurden schneller von der Realität eingeholt, als ihnen lieb war. Nachdem die Regierung im Zuge der Erstellung des Nationalen Entsorgungsprogramms endlich eine Bestandsaufnahme der radioaktiven Abfälle machen musste, wurde auch ihr klar, dass weitaus mehr und ganz anderer schwach- und mittelradioaktiver Abfall anfällt, als in Schacht KONRAD laut Genehmigung eingelagert werden dürfte. Selbst wenn in der Bestandsaufnahme der Bundesregierung noch wichtige Abfallströme fehlen, ist offensichtlich, dass das Zwei-Endlager-Konzept (Schacht KONRAD plus einen Standort für insbesondere hoch radioaktive Abfälle) nicht länger aufrecht zu erhalten ist. Die Kommission war weder willens noch zeitlich in der Lage, sich im letzten halben Jahr mit diesem grundsätzlichen Problem zu beschäftigen. Solange es aber keine Entscheidung über das Konzept für die Lagerung aller Arten radioaktiver Abfälle gibt, macht eine Standortsuche für einen Teil der Abfälle keinen Sinn.

3. Keine Prüfung anderer Lagermöglichkeiten

Die Kommission hat nicht einmal ernsthaft versucht, alternative Lageroptionen zu prüfen. Sie hat stattdessen nahtlos den auf tiefengeologische Lagerung fixierten Weg fortgesetzt, der in der Vergangenheit zu den Havarien in der Asse und Morsleben führte. Ähnlich droht es im weiteren Verfahren den alternativen Gesteinsformationen Ton und Kristall zu ergehen. Wenn keine Gleichwertigkeit in der Untersuchungstiefe zu Salz hergestellt wird, werden die Ergebnisse ob bewusst oder als Automatismus zu einer Beibehaltung des in den letzten Jahrzehnten eingeschlagenen Weges führen: tiefengeologische Lagerung in Salz und in Verbindung mit Punkt 1 am Standort Gorleben.

4. Keine Aufarbeitung der Fehler in Vergangenheit und Gegenwart

Anstatt die Geschichte des Einstieges in die Atomenergienutzung zu erzählen, die bei dem im Bericht zitierten Joachim Radkaus „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“ viel besser nachzulesen ist, hätte sich die Kommission besser den Fragen gewidmet, wie es zu den eklatanten Fehlentscheidungen in der Vergangenheit kommen konnte, wieso dafür verantwortliche Personen bis heute an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind und warum die gleichen Fehler in der Gegenwart wiederholt werden. So findet sich in der langen Erzählung

  • kein Wort dazu, dass das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld 1965 vor einer Einlagerung von Atommüll in der ASSE II gewarnt hatte und die Deutsche Atomkommission ein eigenes, neues Endlagerbergwerk präferiert hatte,
  • kein Wort dazu, dass es dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) seit Jahren nicht gelingt, einen Langzeitsicherheitsnachweis für das marode Atommülllager Morsleben zu führen und das BfS die illegal zwischengelagerten Strahlenquellen und das illegal zwischengelagerte Radiumfass trotzdem einfach in dem Bergwerk belassen will,
  • kein Wort dazu, dass die Genehmigung von Schacht KONRAD in dem Energiekonsens zwischen SPD/Grüne und Energiewirtschaft trotz fachlicher Bedenken von Landes- und Bundesumweltminister politisch vereinbart wurde und das Konzept und die grundlegenden Sicherheitsberechnungen aus den 1980er Jahren in keiner Weise mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen,
  • und kein Wort dazu, dass die zeitgemäße Beteiligung der Öffentlichkeit „von Beginn an“ in Gorleben 40 Jahre nach der Standortbenennung nicht mehr möglich und dieses Defizit nach Jahrzehnten der „Verpolizeilichung“ des Konfliktes auch nicht mehr heilbar ist. Wer Fehlentscheidungen und Fehlhandlungen unter den Teppich kehrt statt schonungslos ans Tageslicht zu bringen, ruft weiteres Misstrauen hervor und verhindert dringend notwendige Erkenntnisfortschritte.

5. Schwerwiegende Fehler des Standortauswahlgesetzes werden durch die Kommission nicht korrigiert

Eine wichtige Aufgabe der Kommission war, das Standortauswahlgesetz zu evaluieren. Zentrale Kritikpunkte an dem Gesetz waren unter anderem die Errichtung einer mächtigen „Superbehörde“, das Bundesamt für Kerntechnische Entsorgung (BfE) und die Einschränkung der Klagerechte der Bevölkerung durch die im Gesetz vorgesehene Legalplanung. Anstatt die Kritik am BfE aufzunehmen und dieses in seinen vorgesehenen Kompetenzen zu beschneiden, werden dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) seine Zuständigkeiten für den Bau und Betrieb von tiefengeologischen Atommülllagern entzogen. Diese werden in einer neu zu gründenden privatrechtlichen GmbH in öffentlichem Besitz zusammengeführt, was absehbar zu noch weniger öffentlicher Kontrolle und Transparenz führen wird. Das BfE bleibt in seinen Kompetenzen völlig unangetastet.
Gleiches gilt für die Legalplanung. Sie dient der Beschleunigung des Verfahrens durch Vermeiden lästiger Gerichtsverfahren. Dadurch, dass der Bundestag künftig alle wesentlichen Entscheidungen im Rahmen der Standortauswahl trifft, werden die bisherigen Rechtswege für die Bevölkerung völlig ausgehebelt. Bisher können sie gegen Verwaltungsentscheidungen einen mehrinstanzlichen Rechtsweg einschlagen. Künftig können sie lediglich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, das jedoch keine Verwaltungsentscheidungen sondern Grundrechtsverletzungen prüft. Umweltverbänden ist auch dieser Weg verwehrt, sie sind nicht „grundrechtsfähig“. Eine solche  Einschränkung der Klagerechte widerspricht dem Europarecht (Aarhus-Konvention). Anstatt die Legalplanung aufheben zu wollen, greift die Kommission zu Hilfskonstruktionen. Über einen oder mehrere Bescheide des BfE im Verfahren soll Rechtschutz erzeugt werden, der jedoch für den Bundestag gar nicht bindend sein kann.

6. Das vielbeschworene Verursacherprinzip wird ignoriert

Auch bei der Frage des Verursacherprinzips wurde die Kommission von der realen politischen Entwicklung überrollt. Die Atomfinanzkommission (KFK), die im Herbst 2015 beim Bundeswirtschaftsminister eingesetzt wurde, schlägt in ihrem Abschlussbericht eine Enthaftung der Energiekonzerne für die Kosten der Lagerungradioaktiver Abfälle vor. Mit der Anlieferung der radioaktiven Abfälle an den Zwischenlagern sollen diese in die Verantwortung der öffentlichen Hand übergehen. Alle zukünftigen Kosten über einen Betrag von 23,3 Mrd. Euro hinaus sollen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragen müssen. Anstatt dass die Kommission protestiert und einfordert, dass die Abfallverursacher auch die Verantwortung für ihren Müll bis zum bitteren Ende tragen müssen, beugt sie sich den Empfehlungen der KFK.

7. Der Beschluss zum Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle ist zahnlos

Es zeichnet sich bereits ab, dass eines der wenigen konkreten Ergebnisse der Kommission, ein Exportverbot für hoch radioaktive Abfälle zu fordern, wirkungslos bleiben wird. Dieser Beschluss wurde vor dem Hintergrund gefasst, dass die Bundesregierung plant, die abgebrannten Brennelemente aus den beiden Hochtemperaturreaktoren AVR Jülich und dem THTR Hamm-Uentrop zum dauerhaften Verbleib in die USA zu exportieren. Doch erstens impliziert die Forderung nach einem „generellen“ Exportverbot juristisch die Möglichkeit für Ausnahmen. Zweitens läuft das Genehmigungsverfahren in den USA für den Import ungebremst weiter. Und drittens hält das Bundesumweltministerium im Nationalen Entsorgungsprogramm an einem Export fest und erklärte im Januar 2016, dass es sich schließlich nur um eine Empfehlung der Kommission handeln würde.

8. Die Öffentlichkeitsbeteiligung geriet zur Farce

Völlig zur Farce geriet die Öffentlichkeitsbeteiligung der Kommission. Weder wurde die Öffentlichkeit frühzeitig noch angemessen beteiligt. Die „Beteiligung“ reduzierte sich auf informatorische Anhörungen ohne jede Ergebniswirksamkeit. Beiträge wurden von den ModeratorInnen auf Ergebnisorientierung geglättet – und von der Kommission als störend empfunden. Schließlich meinten die Experten und Wissenschaftler der Kommission, selbst am besten zu wissen, was sie tun. Da ist es nur vordergründig, wenn die Kommission den Zeitmangel als Ausrede ins Feld führt. Man wollte eben den Bericht nicht mit der Öffentlichkeit entwickeln, sondern höchstens die Ergebnisse von ihr diskutieren lassen.

9. Ausblick

Solange die Suche nach einem „Endlager“ Teil der Legitimierung des Betriebs von Atomanlagen ist, steht sie immer unter dem Generalverdacht, legitimatorisch zu sein. Darum wird – unabhängig von unserer Forderung nach sofortiger Abschaltung – eine Entspannung der Auseinandersetzung um Atommüll erst dann möglich sein, wenn kein weiterer Atommüll und damit rechtliche und tatsächliche Sachzwänge produziert werden. Wir können daher nur vor dem Irrglauben warnen, es gehe jetzt nur um die kritische Begleitung eines festgelegten und lediglich technokratisch zu gestaltenden Weges. Je weniger die Ursachen der Kritik an der Atomenergie zur Grundlage gemacht werden, umso heftiger werden die Auseinandersetzungen spätestens dann aufbrechen, wenn neue Standorte ins Spiel kommen, deren Situation dann um nichts anders ist, als in den Jahrzehnten zuvor. Ein lediglich behaupteter Neuanfang wird scheitern, weil er zu offensichtlich nichts an den materiellen Grundlagen ändert. Im Kern kann es jetzt nicht um die Auswahl eines oder mehrerer neuer Standorte gehen, sondern um den Beginn einer offenen gesellschaftlichen Auseinandersetzung um den Umgang mit Atommüll und dessen einstweilig letzten Verbleib. Dies geht nicht ohne entscheidungsrelevante Rechte der Bevölkerung. Dazu war die Kommission nicht bereit und Bundestag und Bundesregierung sind es auch nicht. Niemand kann garantieren, dass ein solcher Prozess letztendlich zu einer akzeptierten Lösung führen würde, aber es wäre die einzige Chance dafür.

verfasst im Auftrag der Atommüllkonferenz

Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD
BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
.ausgestrahlt
Aarhus Konvention Initiative
AG AtomErbe Neckarwestheim
Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen
Aktionsbündnis STOPP Westcastor
AK.W.ENDE Bergstraße
anti atom aktuell – Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen
Anti-Atom-Bündnis „Atomreaktor Wannsee dichtmachen“Anti-Atom-Bündnis Niederrhein
Anti-Atom-Bündnis Schaumburg
Anti-Atom-Büro Hamburg
Anti-Atom-Gruppe Bad Steben
Anti-Atom-Gruppe Osnabrück
Anti-Atom-Initiative-Göttingen
Anti-Atom-OWL
Anti Atom Plenum Göttingen
Anti-Atom-Plenum Weserbergland
BA-BI Schweinfurt
Bendorfer Umweltinitiative e.V.
BI „Kein Atommüll in Ahaus“
BI STOPPT TEMELIN
BISS-Braunschweig (Bürgerinitiative Strahlenschutz Braunschweig)
BISS-Leese ( Bürgerinitiative Strahlenschutz Leese )
BI WAANAA – BI gegen atomare Anlagen Weiden-Neustadt/WN
Bündnis gegen Castorexporte „Nix rein – nix raus“
Bürgerinitiativen gegen das AKW Mülheim-Kärlich
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz
BUND NRW Landesarbeitskreis Atom
BUND-Kreisgruppe Dithmarschen
BUND-Kreisgruppe Warendorf
BUND Regionalgruppe Münsterland
DGB-Region Nord-Ost-Niedersachsen
DGB-Region Süd-Ost-Niedersachsen
Gesellschaft für Strahlenschutz
Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie
GREENPEACE
Holon-Institut
IG Metall Salzgitter-Peine
IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung
Initiative AtomErbe Obrigheim
Initiative Brokdorf akut
Initiative „Langen gegen Atomkraft“
Kein Leben mit atomaren Risiken! (KLAR!)
Klimaforum Detmold
Land in Sicht – Transition (LIST), Celle
Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom
Mütter gegen Atomkraft, München
Robin Wood
strahlentelex
Umweltgruppe Wiedensahl
Umweltinstitut München
ver.di-Ortsverein Salzgitter

Stellungnahme zum Ergebnis der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe [PDF]